Ein Interview mit mir in der Netzwirtschaft

Im September 2015 gab ich dem Online-Magazin Netzwirtschaft ein Interview zum Thema Partizipation und Dialog als Grundlage unserer Gesellschaft, zur Rolle der Digitalisierung für Beteiligungsprojekte und zu Meinung und Einfluss in den sozialen Medien.

 

Wer ist Christina Denz? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.
 
Ich bin von Haus aus Journalistin, habe lange als Nachrichtenredakteurin in der Politik, auch international, und später in Medien und Kultur gearbeitet. Aber irgendwann fehlten mir Meinung und Haltung. Ich habe dann Kommunikation für Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit gemacht – übrigens eine Phase, in der ich viel über die kreative Wirkung der Teamarbeit lernte. Daraus entstand die Idee, gemeinsam Partizip Futur als Netzwerk für Dialog und Beteiligung zu entwickeln. Ich bin also als Konzepterin für Dialoge und als Kommunikationsexpertin unterwegs.
 
Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.
 
Seit vielen Jahren schreibe ich Kurzgeschichten, Prosa- und Theatertexte. Außerdem fotografiere ich leidenschaftlich. Beides bringe ich auf www.fictionandphotographs.de zusammen – einem neuen Online-Projekt von mir, das noch in der Entwicklung ist.
 
Elevator Pitch! Was macht Euert Netzwerk? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?
 
Wir bringen Menschen zu einem ehrlichen und ernstgemeinten Dialog zusammen – kreativ, innovativ, nie von der Stange. Das führt zu Wissensaustausch, Verständigung und zu einer gemeinsamen Zukunft für alle Beteiligten: Für Unternehmen und ihre Kunden, Vereine und Poltiker/innen, Verbände und Verbraucher/innen, Politik und Wissenschaft. Dialog und Teilhabe sind die Grundpfeiler der Demokratie – das soll sich auch in der Kommunikationskultur wiederspiegeln. Wir brauchen noch viel mehr echten Dialog – nicht nur Fragen und Antworten.
 
Apropos Superpower: Welches Best Practice Beispiel in Deiner Branche hat Dich besonders fasziniert und warum?
 
Wir Gründerinnen von Partizip Futur waren – damals in anderem Kontext beim Verbraucherzenrale Bundesverband (vzbv) – an der Entwicklung und Umsetzung eines Verbraucherparlaments beteiligt. An einem Tag haben 150 Leute handfeste politische Forderungen zum klimaverträglichen Verkehr der Zukunft entwickelt. Ihre Top-1-Forderung: Eine Art öffentliche Abgabe für einen kostenlosen Nahverkehr für alle bundesweit. Kein Politiker hätte sich das jemals zu fordern getraut. Aber die Bürgerinnen und Bürger, die aus den unterschiedlichsten Berufen und Lebensabschnitten und aus der ganzen Republik kamen, haben sich von allem Kalkül frei gemacht und eine eigene Lösung präsentiert – die sie selbst sogar etwas kosten würde. Das hat mir einmal mehr gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger in vielen Dingen weiter sind als die Politik – und mutiger. Und nur mit Mut lassen sich die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft angehen. Der Klimawandel gehört mit Sicherheit dazu.
 
Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?
 
Digitalisierung ist ja schon fast ein überholter Begriff. Wer arbeitet heute nicht mehr digital? Die Idee des Netzwerks basiert aber auf einem eher digitalen Gedanken: Dass für neue Aufgaben immer neue Konstellationen und Zusammenarbeiten notwendig sind. Das hat etwas Organisches, starre Formen behindern eher Bewegung. In puncto Beteiligung aber ist das Internet ein Segen und Fluch zugleich. Einerseits bieten Dialog- und Abstimmungstools neue Möglichkeiten der Online-Partizipation. Meinungen, Fragen, Diskussionen – alles ist möglich. Aber an der aktuellen Debatte über Shit- und Hate-Storms sehen wir auch die Kehrseite, wenn sich Menschen nicht mehr direkt gegenüberstehen.
 
Ich trete deshalb immer für einen Dialog „in echt“ ein, – digitale Angebote bereichern und untermauern die Begegnung, informieren, bieten ein Forum, können das tatsächliche Event übertragen. Aber ein tieferes emotionales Erlebnis bietet der Austausch von Angesicht zu Angesicht. Das Erlebnis ist ohnehin ein zentraler Moment, damit Beteiligung funktioniert. Das Besondere inspiriert, führt zu einem konzentrierten Austausch und zu kreativen Lösungsansätzen. Und ein Ereignis mit seinen Inhalten bleibt allen viel länger im Gedächtnis, wenn es „erlebt“ wird, wenn miteinander gesprochen, gemeinsam Kaffee getrunken wird.
 
Und bei manchen Projekten kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass deshalb Abstimmungen und Diskussionen über digitale Plattformen oder extra dafür eingerichtete Internetseiten laufen, damit man sich eben nicht direkt mit der anderen Position auseinandersetzen muss. Kritik oder Ablehnung kann man so leichter wegstecken – oder ignorieren.
 
Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein? Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:
 
Meinem Eindruck nach ringen Medien und Politik noch immer damit, wie sie der Meinungsvielfalt im Internet begegnen sollen. Ein Beispiel: Regelmäßig versuchen die Medien aus Einzelmeinungen bei Facebook oder Twitter einen Trend zu konstruieren. Das ist menschlich und respektiert das Individuum. Aber man kann aus solchen Äußerungen, selbst wenn sie geballt auftreten, keine Schlüsse ziehen. Versuche, daraus etwas über Mehrheitstendenzen ableiten zu wollen, verzerrt das Bild Gesellschaft.
 
Vielmehr spricht für mich daraus die Sehnsucht der etablierten Organe, dass uns die digitale Welt ersetzen möge, was uns früher Meinungsumfragen und vor allem Wahlen bedeuteten, nämlich die Erkenntnis, wie die Masse „tickt“. Aber die Masse lässt sich im Internet nicht mehr ablesen. Rechte Hasstiraden bei Facebook sind schrecklich, aber sie zeigen nicht an, ob die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger so oder ähnlich denkt. Doch wenn Medien und Politik Unflätigkeiten als „repräsentativ“ deklarieren – und mit jedem Bericht, der eine ausfällige Beschimpfung als Aufhänger nimmt, passiert dies – dann ignorieren sie andere Meinungen, selbst wenn diese de facto die Mehrheit darstellen.
 
Dabei geht übrigens auch der Gedanke verloren, dass nicht alles Leben sich im Internet abspielt. In allen Generationen gibt es nicht wenige, die keine Lust auf den digitalen Minimaldialog bei Facebook und Twitter haben. Wenn die repräsentativen Organe das nicht im Blick behalten, tragen sie viel mehr zur Demontage von Demokratie bei, als sie ahnen. Die Diskussion, die seit langem über die Repräsentanz von Volksbegehren mit einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent geführt wird, muss auch fürs Internet gelten. Das ist aber offenbar noch nicht angekommen.
 
Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:
 
Beteiligung kostet. Bislang sind es vor allem staatliche Einrichtungen – also Ministerien, vom Bund finanzierte Verbände oder Landesregierungen – die die großen Beteiligungsprojekte und digitalen Dialogplattformen finanzieren. So kommen Innovationen im Online-Dialog nur eher langsam voran. In der Digitalwirtschaft aber gibt es so viele kreative Köpfe, dass ich überzeugt bin, dass es in puncto Online-Beteiligung noch viel Entwicklungspotenzial gibt. Ich selbst verfolge mit großem Interesse multimediale Reportageformen wie Scrollitelling. So etwas bei der Informationsvermittlung für einen Online-Dialog einzusetzen, würde die Seiten zumindest für meinen Geschmack zu „Erlebnissen“ machen.
 
Herausforderung für unseren Markt:
 
Im Online-Bereich ist meines Erachtens noch Luft bei der Entwicklung von Diskussions- und Abstimmungstools. Allein schon meine Begrenzung auf die zwei Begriffe zeigt, dass es noch etwas jenseits von ihnen geben kann. Die Herausforderung wird darin liegen, Innovationen und an den Belangen der Bürgerinnen und Bürger orientierte Tools zu entwickeln und dafür auch Geld- bzw. Aufraggeber zu finden. Vielleicht könnte eine Art „runder Tisch“ der Entwickler aus IT, Dialogformaten und der Partizipations- und Gesellschaftspolitik das Interesse der öffentlichen Stellen für neue Dialogformen im Netz wecken.
 
Herausforderung für unsere Firma:
 
Für die Zukunft wünsche ich mir einen noch engeren Austausch mit IT-Entwicklern vor allem aus dem Bereich User Experience, um Off- und Online enger zu verzahnen. Denn in gar nicht allzuferner Zukunft wird diese Trennung wahrscheinlich ohnehin obsolet sein.
 
Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?
 
Mich ärgert einfallsloser „Kundenfang“ auf Facebook. Es wundert mich immer wieder, wenn die Masche „Hey, mach mit und gewinne eine Kaffeemaschine“ tatsächlich Likes bekommt – sofern die echt sind. Wer will solche Sprüche noch lesen? Das ist für mich einfallsloses Marketing ohne Content. Wer nichts zu sagen hat, muss das nicht noch online kundtun.
 
Was mich aber ausgesprochen freut, ist die Ideen- und Kreativvielfalt, die viele im Netz präsentieren. Da ist es schwer den Überblick zu behalten, aber ich bin sicher, dass hinter der einen oder anderen Website tolle Ideen und Projekte schlummern. Und viele Seiten sind einfach toll gemacht.
 
Welches „Problem“ (privat oder im Unternehmen) würdest Du gerne von einem Start-up gelöst bekommen?
 
Wenn ich träumen darf: Ich hätte gerne jemanden bei der Hand, der immer wieder unsere Internet-Seiten neu erfindet, neue tools entwickelt, ein neues Design auflegt, sie beweglich hält, den Leser/innen und User/innen immer wieder Abwechselung und Erlebnisse verspricht. Natürlich gibt es sehr viele, die das anbieten – leider ist das finanziell nicht drin. Also muss es der Inhalt richten. Und bei meiner eigenen Multimedia-Begeisterung sehe ich da natürlich noch ziemliche Herausforderungen
 
Gib uns doch bitte eine Empfehlung für
 
… einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst
 
Kürzlich stieß ich auf eine Multimediareportage über Grosny mit dem Titel „Grosny – 9 Cities“ (http://groznyninecities.com/Grozny-9-cities-web-documentary-1). Da schlägt mein Journalisten-Herz höher:  abwechselungsreich, eindringlich, persönlich, informativ. Solche Reportagen begeistern mich. So etwas im Bereich der Online-Partizipation – da würde Beteiligung zum Erlebnis. Aber die Produktion ist natürlich auch aufwendig.
 
Nicht mehr ganz neu aber immer noch bewundernswert finde ich Cord Schnibbens multimediales Projekt „Mein Vater war ein Wehrwolf“ (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nazi-werwolf-spiegel-reporter-schnibben-ueber-seinen-vater-moer-der-a-963465.html)
 
…einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat
 
Den „Brand Eins“-Schwerpunkt „Macht Blau“ vom August und den Artikel „Mehr Faulheit wagen“ (http://www.brandeins.de/archiv/2015/faulheit/einleitung-wolf-lotter-faulheit-mehr-faulheit-wagen/) fand ich sehr erhellend. Denn unser tradiertes Arbeitsethos verhindert meines Erachtens viel kreative Entwicklung und „neues Denken“. Echte Entspannung bringt uns womöglich näher an die Lösung von Fragen als die beständige Suche nach ihr.
 
… eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast
 
Die Seminare der Stiftung Mitarbeit. Hier geht’s „traditionell“ und meist offline zu, die Seminare werden von Fachleuten aus Kommunen und von Vereinen besucht, die die Kernerarbeit von Dialog und Beteiligung jeden Tag aufs Neue mit sehr viel Enthusiasmus angehen. Und die Programmleiterinnen weisen einen tollen und offenen Weg, wie Seminare heute ablaufen können. Diese Workshops sind für mich absolut inspirierend, – der Übertragungsprozess auf andere Formate und Zielgruppen ist danach eine wahre Freude. (http://www.mitarbeit.de/)
 
… das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit
 
Für Brainstorming und Clustern für Entwicklungsarbeit nutze ich häufig die klassische Mindmanager-Software. Irgend-
wann schalte ich dann automatisch um und fange an in Sätzen und Abschnitten zu denken. Aber der Start, das freie drauflos fabulieren, der kreative Impuls, das funktioniert für mich gut. Manchmal nutze ich die Software parallel mit Flipchart und Whiteboard. Die Bewegung und Interaktion zwischen den Tools sorgt bei mir meist für einen kräftigen Ideenschub.
 
Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?
 
Am meisten lerne ich von den Menschen, die an den Dialog- und Workshopangeboten teilnehmen. Ob und wie sie die verschiedenen Tools annehmen, ob und wie sie über ein Thema diskutieren, das zeigt mir, was funktioniert und was nicht. Und die Teilnehmenden nehmen ja meist kein Blatt vor den Mund – was für uns ein echtes Geschenk ist. Die Bürgerinnen und Bürger sind und bleiben die Experten für Bürgerbeteiligung. Das ist bei allen Theaorien am Ende
ganz einfach.
 
Aber darüber hinaus würde ich gerne mal einen Tag lang mit Christoph Kappes über Internet-Dialog und -Beteiligung sprechen. Kappes ist Gründer der Pixelpark Agentur in Hamburg und Medien-Multimedia-Experte, der sich auch zu anderen gesellschaftspolitischen Themen offen, nachdenklich und ehrlich äußert. Mich würde dabei interessieren: Wie schaffen Sie das alles, Herr Kappes? Vielleicht liest er ja das Interview und verrät mir (s)einen Trick!